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Urs Grosch

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„Kleines Selbstportrait“ Öl / 1978

Glücklich, wer mit einer Seele auskommt und mit ihr hinkommt! Aber armer Teufel Künstler, der nur eine Seele hätte! Faustus wäre als steriler, subalterner Streber und Langweiler vertrocknet, wenn ihn nicht der übermächtige Teufel Phantasie fast zuschanden geritten hätte! Der Künstler braucht diesen Teufelspakt – mag er ihn auch verharmlosend, beschönigend „Musenkuss“ nennen -, um aus seiner Haut fahren und extemporieren zu können.

Sprechen wir von den extemporierenden Grosch-Seelen. Und ich vermute da deren mehrere.

Der Schrei

„Der Schrei (Selbst)“ Öl / 1990

Als er zehn ist, wird er von einem Kunstlehrer musisch erweckt. Der ist der altmeisterlich praktizierender Kunstmaler Wilhelm Büttner. Doch der bis dato kunstabstinente Sohn einer Handweberin und eines Buchhalters – damals heißt er noch gutbürgerlich Horst Gröschel – erfährt durch ihn den Ritterschlag – oder den Schlangenbiss? – der Erkenntnis: Gröschel will nun das wohlige bürgerliche Paradies verlassen und ebenfalls Kunstmaler werden! Und voller Besessenheit lässt er sich von seinem Maler-Vater verführen und zunächst auf Naturstudium und Anatomie trimmen, und er stürzt sich in die Akkuratesse akademischen Abbild-Zeichnens nach Gegenstand und Natur. (Überkommene Arbeiten aus dieser Zeit verraten bereits verblüffend Hochschulreife!)

Die Hände meiner Großmutter

„Die Hände meiner Großmutter“ Bleistift

Das geschieht im thüringischen Greiz in den politisch aufbegehrenden Endsechzigern bis Frühsiebzigern. Greiz ist damals ein kultureller Brennpunkt und skandalöses Spannungsfeld, Provinznest zwar, in dem jedoch unterm Argusaug um so üppiger oppositionelle Vegetation wuchert. Und Horst Gröschel nennt zu dieser Zeit einen Manfred („Ibrahim“) Böhme seinen Freund und Förderer; für Reiner Kunze – damals bereits am Staatspranger – illustriert er u.a. dessen SELBSTMORD-Gedicht

„die letzte aller türen
Doch nie hat man
an alle schon geklopft“

Er besucht heißohrig die Konzerte der schon verbotenen media-nox-Band und spielt selber Gitarre. Da wachsen die Konflikte leicht riesengroß und werden existenzbedrohlich.

Als er mit 22 an die Hochschule für Grafik und Buchkunst nach Leipzig geht, gerät er dort in eine Hochstimmung. Er ist fasziniert von den großen Kunsträumen in diesem Treibhaus für künstlerisch Opponierende und sklavensprachlich Streitende, und er schafft sich sowohl am soliden Handwerk seines Lehrers Heinz Wagner als auch an der malerischen Sturmflut eines Hartwig Ebersbach.

Da schlägt Groschs Pendel zwischen Tragik und Komik voll aus, und er verschafft seinem Widersinn kabarettistisch Luft, gründet mit Wolfgang Krause-Zwieback und Johannes Heisig die Gruppe PIGMENT II, spielt in der Gruppe FOLKLÄNDER, gerät an Heyder (Jost), Liffertz, Böhme und Bernd-Lutz Lange einem der späteren „Helden von Leipzig“ – und mischt sich vehement ins akademische Treiben und städtische Leben.

Er ereifert und ergötzt sich am Kuriosen und stürzt zugleich voller Skepsis – und ohne Auffangnetz in Melancholie und Krise. Es gibt aus dieser Zeit Selbstbildnisse, auf denen er sich u.a. als traurigen Bajazzo in Rembrandts Manier darstellt, wie ein Mühlstein um den Hals die Krause.

In einem kleinen Selbstporträt lässt er – Hommage an seinen geliebten Dunkel-Maler Rembrandt – lediglich ein Stück Physiognomie vor tiefschwarzem Ab-Grund gelten.

(Später wird er ganz und gar nur noch Menschreste rosig Fleischliches – vorm Versaufen in ewiger Sintflut übrig lassen. Da ist er konsequenter Weise bei der Erkenntnis angekommen: Wie bringe ich das nur noch Allerwesentlichste aus der übermächtigen Alltagsflut des Unwesentlichen ans Licht? Und er ist Sucher nach dem Licht im Dunkel.)

Selbst als Harlekin

„Selbst als Harlekin“ Öl / 1981

In Leipzig gerät er auch an den tiefgründigen Spötter Fellini und spürt in dessen lästerlichen Filmen und Faces der schreienden Ich-Welt-Diskrepanz nach. Es kommt nun vor, dass seine gravierende Selbstironie abrupt abkippt in tiefe Melancholie – zwei Pole, zwischen denen er fortan pendeln wird: zwischen hochkritischer Distanz, die sich bis zu bissiger Heiterkeit aufzuschwingen vermag, und abstandsloser Versenkung.

Scharfe Kritik an der strangulierten DDR-Lebe macht sich Luft z.B. in jenem Triptychon, das Goya gewidmet ist – angelegt wie ein kleiner dreiteiliger Flügelaltar.

als Student im Atelier in Leipzig 1976

als Student im Atelier in Leipzig 1976

Die Erschaffung Adams, Detail

„Die Erschaffung Adams“ (nach Michelangelo) 1984

Bei Goya und Ensor findet er überhaupt Ermunterung und Ermutigung zu pittoresk-karnevalistischen Tendenzen mit mystischen Neigungen. Masken werden ihm wichtig: Der Mensch als verlarvtes Wesen. So beginnt er sich vom Menschen sein Bild zu machen. Alles Gleich- und Kleinmütige und Satt-Saturierte empört ihn. Diese Leipziger Zeit beutelt ihn gehörig. Unruhvoll Atmosphärisches schlägt in unheilschweren Schüben zu Bilde.

Doch, gottlob, durchgestandene Krisen erweisen sich immer auch als Reifeprozesse.

Schließlich reißt ihn aus diesen Affektkämpfen eine weitere Begabung auf eine rationalere Plattform: Als Architekt – Innenarchitekt und Stadt-Farbgestalter lernt er es, sich planend und mit Kalkül in Raumkonzepte einzubringen, mit denen er in unserer oft chaotisch gewachsenen Um- und Menschenwelt nach ästhetischen Gesichtspunkten Harmonie, Ordnung und Stil schaffen will. In Greiz stammen ganze Straßenzüge aus seiner farbgebenden Retorte, und es gibt inzwischen Clubs und Villen, in die er seine ästhetische Konfession eingebracht hat. Hier kann er sich euphorisch als kämpferischer Idealist und Moralästhet gebärden, der einer verwegenen Schillerschen Eutopie nachschwärmt, die Menschenwelt entrohen zu können, indem er sie mittels ästhetischer Sensibilisierung zu veredeln hilft. Vielleicht ist ihm das Reißbrett in seinem Entwurfs- und Planungsbüro gar auch ein seliger Ort, weil er da noch halbwegs mit Gewissheit darauf bauen kann, dass zwei mal zwei vier ist und dass Geometrie und die Gerade vielleicht noch einigermaßen als verlässliche Elemente gelten können.

Da ist nach 1989 das gewagte Kopfüber in ein riskantes Unternehmerleben nur eine logische Konsequenz. Sein ATELIER GROSCH besteht in Konjunkturzeiten aus bis zu zwölf Mitarbeitern. Das aber vernagelt ihm den freien Kopf und verhagelt ihm vorübergehend jegliche freie Praxislust an bildender Kunst. Doch das Verdrängte spukt und rumort und wächst sich aus zu Heimsuchungen in schlaflosen Nächten. Der große Malsaal in seinem weiträumigen Haslaer Gehöft steht verwaist und wartet auf bessere Zeit. Die Notdurft, sich immer mal wieder künstlerisch-malerisch auszuleben, wird zum Albtraum des arg gestressten Unternehmers.

Die Malerei gedeiht ihm zu fernem Sehnsuchtsweh – während doch vorm Haus die Blumen üppig ins Wilde schießen und vorm Fenster die Bäume wie verrückt in Blüte stehen.

Expolodierender Strauß

„Explodierender Strauß“ Öl/1996

Blühende Sträucher

„Blühende Sträucher “ Öl/2000

Und in den Stunden tiefer Verzweiflung (s. sein schonungsloses Selbstbild DER SCHREI!) stürzt er nachts an die Staffelei und malt er sich in Rage eine opulent blühende, schwelgende Welt zurecht. Er rührt expressive Farbmenüs an, und oft steigt er ins Werk, ohne noch zu wissen, wohin es ihn bringen, ob es überhaupt einen Ausgang oder einen Sinn kriegen wird. Dabei wäre er doch fast zum Sonntagsmaler verkommen! Aber nun entdeckt er aufs Neu die entladende Wucht und Gnade der Malerei, und er zündelt pyromanisch mit den Farben, lässt sie rauschhaft lodern und lohen, lässt sie ins Kraut schießen und laut explodieren. Leidenschaftlich und obsessiv wuchten sie zu mächtigen Crescendi, Fortissimi. Furios und in Malwut versprüht und verspritzt er sie auf die Leinwände. Die werden zu Spiel- und Schlachtfeldern des künstlerisch wieder Erwachten. Da bersten die Farbtuben, die entfesselten Grüns und Rots quellen ihm durch die Finger, er verrührt sie mit seinen Händen. Er vollführt Bocksprünge ins Bildgeviert. So lässt er den Dingen und seiner ungehemmten Phantasie freien Lauf. Amaryllis wirbeln und rotieren. Blüten blühn auf und spreizen sich wie Genitalien. Es extemporiert ihm sprühend-spritzig aus Kopf und Bauch.

Die Leinwand ein Kampfplatz zu totaler Selbstentstauung. Malen – sich hinschütten Herz und Hirn, Träume und Triebe, Gift und Galle, den ganzen vergorenen Sud. Gottlob, nach einem dramatischen Totentanz vermag auch wieder Heiterkeit zu blitzen. Die Stimmungsamplituden schwingen voll aus. Und jedes Bild ist immer nur Fragment, Etüde, die unerwartet in zarteste Lineatur überzugehen vermag und auf gourmethafte Weise plötzlich auf Poetisches aus zu sein scheint. So liefert oft selbst der letzte duftige Punkt noch Kunde und Rückschluss auf ein äußerst gefühlvolles in ein Stück Malgrund transpirierendes Subjekt. Und unterm Lid drängt derweil ein Gutteil Weltkunst: Corinth, Monet, Soutine, Kokoschka, Varlin, Bacon. Wir sehen, woher der Kunsthase läuft. Und der animiert und treibt ihn ins kreative Wechselbad und zuweilen bis zu totaler physischer Erschöpfung.

Gefährliches Tänzchen / Totentanz (Detail)

„Gefährliches Tänzchen / Totentanz“ für Ensor 1980

Jetzt ist er fünfzig. Der (Lebens-)Becher ist halb getrunken. Und Totentanz und Blütenbrunst, Sintflut und Clownerie, tänzerische Heiterkeit und tragischer Schrei, des Lebens dramatisches Auf-und-Ab, üppige Farbenlust und bedrohliches Schwarz-Weiß sind erkannt. Aber, gottlob, noch ist der Becher halb gefüllt!

Hommage a Goya II - Das große Fressen

„Hommage á Goya II „(Das große Fressen) Öl/1980

Wozu noch weiterleben, schrieb ein Hermann Hesse mit fünfzig und eben fertig mit seinem Krisenbuch DER STEPPENWOLF, in dem er der Menschen Doppelseele Geist und Tier nicht zusammenzubringen vermochte und daher vergeblich nachfragte: Ist der Mensch nun ein Tier-Mensch oder ein Mensch-Tier? Wozu also noch Kunst. Das Sagenswerte sei eh gesagt, Anderes sei nicht mehr zu vermelden. Sprachs – und lebte noch 35 neugierige, kunstreiche, opulente Jahre und bescherte der Welt weiter manches reife Werk.

Sieht man von den ewigen Sunnyboys unter den Kunstmachern ab, so weiß man doch spätestens seit Goethe von der permanenten Seelenplag der ernsthaft mit Schöpfertum Geschlagenen; immer gehetzt auf allzu schmalem Pfad: links das blumichte Feld des allenthalben verführerisch winkenden Dilettantismus, rechts die allweil lockenden Sirenen mit der Ermutigung zu Scharlatanerie. Dazwischen auf Schritt und Tritt die hochnotpeinliche und existenzielle Selbstbefragung: Bin ich noch auf dem Weg? Auf meinem Weg?

Und kein Überschöpfer packt uns da gnädig am Schopf. Die radikal skeptische und schmerzlich selbstkritische Wegsuche dauert fort und fort. Aber gerade das ist immer wieder unsere Chance.

Hommage á Goya I (Ecce homo)

„Hommage á Goya I „(Ecce homo) Öl/1980

Daher wünsche ich Ihnen, lieber Horst Gröschel alias Urs Grosch, zu Ihrem Fünfzigsten nein: keine geist- und nervtötende, saturierte Wohllebe, sondern immer wieder einen Quadratmeter Leinwand und ein paar Kilo Farbe, helle Mondnächte und allweil wild schwingende Flügel Ihrer ungehemmten Phantasie, um die in Ihnen wirbelnde Kreativität blitzableiten zu können. Dazu gehörigen Leicht-Sinn – nicht Seicht-Sinn, sondern jenes Pfund, mit dem Sie mitunter scheinbar voller sprudelnd-sprühender Leichtigkeit zu wuchern vermögen! – als auch gehörige Schwer-Mut – Ihnen und Ihren mehreren Seelen zu existenziellem Heil und uns zu erlebnisreichem Nutzen.

Edwin Kratschmer

Saalfeld, den 29.Juni 2002

 

März 1989 im Atelier

„März 1989“ im Atelier Öl/1989

Gemälde

Expolodierender Strauß

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